saftige Süß-Alge. Deshalb war er einen Moment lang nicht aufmerksam gewesen.
Alles, was er noch mitbekam – weil er in einigen Wellenlängen Entfernung einen Schatten und eine schnelle Bewegung wahrgenommen hatte – war ein sehr großes Maul und Fiete, der darin verschwand. Mitten aus der Finsternis des Perlenwaldes heraus war ein großer Fisch blitzschnell auf Fiete zu geschwommen, der mit der Suche nach einer noch schöneren Superperle viel zu beschäftigt war, um die große Gefahr hinter sich zu bemerken. Das Maul des großen Fisches war weit aufgerissen gewesen. Er hatte nur geradeaus auf Fiete zuschwimmen müssen, um den Leckerbissen zu verschlingen. Kurz war Finn starr vor Schrecken, konnte keine einzige Flosse bewegen. Als er sich wieder gefangen hatte, schwamm er sofort weg, um nicht auch noch vom großen Fisch gefressen zu werden.
Er blickte sich um und rief ein paar Mal nach Hilfe. Aber wer sollte ihn hier schon hören? Und selbst wenn: Er war jetzt ganz auf sich allein gestellt. Aber wie sollte er seinen Freund retten? Er war doch nur ein junges, kleines Glücksfischchen im großen, weiten Ozean!
*
Doch schnell wurde Finn klar, dass es jetzt auf ihn ankam. Fietes Leben hing von ihm ab. Er war allein, und er musste seinen Freund retten. Aber wie? Herumjammern brachte ihn nicht weiter. Jetzt zählte jeder Flossenschlag! Um einen klaren Kopf zu bekommen, kiemte er einmal ordentlich durch. Dann streckte er seine Flossen. Das Allerwichtigste war jetzt, den großen Fisch nicht entkommen zu lassen. Denn sonst war alles verloren. So schnell er nur konnte und mit seiner ganzen Kraft schwamm er auf den großen Fisch zu, um ihn mit seinem kleinen Kopf seitlich zu rammen. Warum er das tat – er wusste es nicht. Doch der große Fisch nahm ihn nicht einmal wahr. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt, nicht einmal um eine klitzekleine Flossenlänge.
Stattdessen schwamm er einfach weiter, ganz so, als ob nichts gewesen wäre. Diesmal aber deutlich schneller. Verzweifelt starrte Finn ihm nach. Wenn der große Fisch jetzt fortschwamm und verschwand, war sein Fiete für immer verloren. Das wollte, konnte und durfte er auf gar keinen Fall zulassen. Sein bester Freund hatte ihm schließlich einmal sein Leben gerettet und ihm gerade eben noch die schönste aller Perlen geschenkt. Aber Finn fühlte sich so machtlos wie noch nie. Wie sollte er den großen Fisch jetzt noch aufhalten? Was konnte er gegen ihn noch machen? Was er bisher versucht hatte, war vergeblich gewesen. Was jetzt?
Unbeschreiblicher Zorn stieg in ihm hoch. Seine Flossen zitterten so stark, dass er kaum noch gerade schwimmen konnte. Finn war zornig. Und zwar sehr zornig. Der da hatte ihm Fiete weggenommen, und er wollte seinen Freund wiederhaben. Und zwar hier, jetzt und ganz sofort. Ohne nachzudenken startete er los und raste dem großen Fisch so schnell, wie er in seinem ganzen Leben noch nicht geschwommen war, hinterher. Doch während Finn mit seinen kleinen Flossen so flink hin und her wedelte, wie er nur irgendwie konnte, bewegte der große Fisch seine Schwanzflosse ganz gemächlich hin und her und war dabei, im Ozean zu verschwinden. Erst im allerletzten Moment, kurz bevor der Fisch mit Fiete in sich innendrinnen entwischen konnte, erwischte Finn die große Schwanzflosse: Geschwind spukte er seine wertvolle Perle aus, biss so fest er nur konnte zu und ließ sich völlig erschöpft vom großen Fisch ziehen.
Finn hatte sich keine besondere Stelle ausgesucht, bevor er zugebissen hatte. Er war einfach nur froh gewesen, den gierigen Räuber überhaupt noch geschnappt zu haben. Und doch schien er irgendwie einen wunden Punkt getroffen zu haben. Denn der große Fisch blieb kurz stehen, wand sich, riss sein Maul auf und wedelte heftig mit seiner großen Flosse, um den unsäglichen Schmerz, der aus dem Nichts über ihn gekommen war, irgendwie zu lindern oder besser noch ihn loszuwerden. Etwas hatte ihn plötzlich genau an der Stelle gebissen, an der ihm ein blöder Schwertfisch einmal bei einem Kampf um eine leckere Schildkröte ein Loch gebohrt hatte. Die Wunde war inzwischen fast verheilt, aber sie hatte immer noch geschmerzt. Zumindest ein bisschen. Jetzt hingegen tat sie wieder höllisch weh, und er wusste nicht einmal warum. Selbst das heftigste Wedeln seiner Schwanzflosse half da nichts. Finn machte es nichts aus, herumgeschleudert zu werden. Im Gegenteil. Um vom Fisch nicht abgeworfen zu werden, biss er noch fester zu. Schließlich wollte er seinen Freund Fiete wiederhaben. Und immerhin war der große Fisch inzwischen stehengeblieben. Das war ja schon mal was. Sehen konnte er allerdings nicht mehr viel. Vom schnellen Schwimmen und dem vielen Hin und Her war sein Kopf ganz schwubberig geworden.
Allerdings hatte er zwei oder drei ziemlich komische Fische bemerkt, die jetzt in seiner Nähe herumschwammen, ihn anstarrten und ihm fortwährend komische Zeichen mit den Flossen zu geben schienen. Langsam, aber sicher gingen die ihm auf die Nerven. Was wollten die von ihm? Was bitte sehr, mischten die sich in Sachen ein, die sie gar nichts angingen? Konnten die nicht sehen, dass er ziemlich mit der Rettung seines allerbesten Freundes beschäftigt war? Das hier war kein Spaß – es ging um Leben und Tod. Er hatte keine Zeit für irgendwelche Mätzchen. Egal, wo man hinschwamm: Manche Fische hatten einfach
keine Manieren. Doch trotz allem hatte Finn auch gemerkt, dass die Bewegungen der Schwanzflosse des großen Fisches nach und nach langsamer und schwächer wurden. Der Raubfisch schien müde zu werden. Nach ein paar letzten verzweifelten, aber harmlosen Ausschlägen mit der Flosse gab der große Fisch schließlich ziemlich entkräftet auf und bewegte sich nicht mehr. Er brauchte eine Pause, und zwar dringend. Finn nahm die Pause dankend an. Er war sehr zufrieden mit sich. Zuerst hatte er den großen Fisch kurz gestoppt, und jetzt bewegte der sich überhaupt nicht mehr. 2:1 für Team Finn – vorerst. Allerdings hatte der große Fisch immer noch Fiete in sich drin, und er wusste immer noch nicht, wie er seinen besten Freund befreien konnte. Immerhin konnte er – jetzt, wo er nicht mehr wild herumgeschleudert wurde – klarer denken und auch besser sehen. Dabei fiel ihm auf, dass jetzt nur noch ein Fisch um ihn herumschwamm und ihm komische Zeichen mit den Flossen gab. Hören konnte er ihn nicht. Dafür war sein Kopf noch immer zu schwubberig und der seltsame Fisch zu weit weg. Obwohl er noch nie zuvor hier geschwommen war, kam der Fisch ihm langsam, aber sicher bekannt vor. Ziemlich bekannt sogar, aber das konnte nicht sein. Er war wohl doch noch nicht ganz klar im Kopf. Vielleicht war es auch nur ein Zwillingsfisch. Tatsächlich fühlte er sich immer noch durcheinander. Deshalb schloss er einige Flossenschläge lang seine Augen und begann langsam zu zählen, um wieder ganz der alte und clevere Finn zu werden. 1, 2, 3, 4 – undsoweiter. 1, 2, 3, 4 undsoweiter. 1, 2, 3, 4 undsoweiter. Er brauchte jetzt einen klaren Kopf, um zu entscheiden, wie er weitermachen wollte. Ließ er den großen Fisch los, konnte der mit Fiete innendrinnen für immer davonschwimmen. Ließ er den großen Fisch aber nicht los, konnte der Fisch – sobald er wieder zu Kräften gekommen war – ebenfalls davonschwimmen, dann aber mit Fiete im Bauch und mit ihm hintendran. Weit weg von zuhause.
Finn hatte keine Ahnung, wo er jetzt war. Keine der beiden Möglichkeiten gefiel ihm.