Damit hatten die anderen Fische um ihn herum nicht gerechnet. Bisher hatte Lochfisch immer geschwiegen. Was hätte er schon sagen sollen? Der war schließlich ein Freak. Dann passierte schon wieder etwas, womit sie nicht gerechnet hatten. Plötzlich schoss Fiete mit seinen flinken Flossen blitzschnell nach vorne, öffnete zugleich sein riesiges Riesenmaulfischmaul und schwamm so schnell zwischen den anderen hindurch, wie Finn es schon bei den Riesenkrabben bewundert hatte. Bevor jemand verstand, was gerade passiert war, schwamm Fiete schon wieder an derselben Stelle wie zuvor. Alle starrten ihn ungläubig an. Sie staunten und schwiegen. Genau das hatte Fiete gewollt.
„Ich habe das Loch in meiner Flosse…, weil ich mit Riesenkrabben gekämpft habe. Und mit Haien auch“, rief er seinem Publikum zu.
Dann schwieg er einen Augenblick lang, um den Satz wirken zu lassen. Finn musste sein Lachen unterdrücken. Gekämpft – das war ein wenig übertrieben. Aber Fietes Auftritt verfehlte seine Wirkung nicht. Jeder hatte schließlich soeben mit eigenen Augen gesehen, was sein Freund so draufhatte. Mit solchen Flossen, mit einem solchen Maul war nicht zu spaßen. Dem war alles zuzutrauen. Dann begann Fiete, von seinem Abenteuer zu erzählen. So wie Fiore es ihm empfohlen hatte, ließ er jenen Teil der Geschichte aus, der für ihn weniger schmeichelhaft war. Dafür fesselte er seine Zuhörer mit spannenden Details seines großen Abenteuers. Er flüsterte, wenn er von im Algenwald versteckten Haien erzählte. Er schwamm ein wenig auf die anderen zu, als er von den sich anschleichenden Haien erzählte – die Flossen bereit zum Angriff. Er brüllte, wenn er von ihren fletschenden Riesenmäulern und den messerscharfen Zähnen berichtete. Als er schließlich zur Stelle mit dem gierigen Hai, der ihn hinterrücks überfallen hatte, kam, schwamm Fiete ganz plötzlich mit weit aufgerissenem Maul auf die Zuhörer vor ihm zu, die sämtlich erschrocken zurückwichen. So hatten sie den Freakfisch – also Lochfisch – na ja, ihren Freund Fiete, noch nie erlebt.
Sie alle hatten zwar schon Gerüchte über sein riesiges Maul gehört. Schließlich war er der einzige Riesenmaulfisch, den sie kannten. Aber dieses Maul mit eigenen Augen zu sehen, jetzt sogar zweimal, das war etwas ganz anderes. Einige im Publikum vergaßen augenblicklich zu schwimmen und kippten kurz zur Seite. Andere erstarrten vor Schreck. Manchen fielen die Flossen herunter und bei anderen zitterten die Flossen so stark, dass sie nicht mehr gerade schwimmen konnten. Einer, der sonst gerne großmäulig auftrat, machte sich sogar in die Flossen, was aber niemandem auffiel. Denn alle starrten immer noch gebannt auf Fiete, der seine Geschichte mit einer übertriebenen Erzählung über seinen langen Weg zurück nach Hause mit seiner schwer verletzten Flosse nach seinem heldenhaften Kampf mit dem Hai abschloss. Einige Wellen lang herrschte absolute Stille. Niemand bewegte eine Flosse mehr als nötig. Aber irgendwann kam der erste Zwischenruf.
„Das hast du dir doch alles nur ausgedacht“, rief jemand laut, „du bist eben ein Lochfisch.“
Ein lautes Murmeln folgte. Doch damit hatte Fiete gerechnet. Deshalb hatte er vorgesorgt und Finn gebeten, nach dem Unterricht zur Schule zu kommen. Fiete schwamm ein kleines Stück weiter nach vorne – es war jetzt an der Zeit, die Sache zu beenden. Ein für alle Mal. Alle Augen richteten sich auf ihn. Der entscheidende Moment war gekommen. Nahmen sie ihm seine Geschichte ab, war er für die anderen wieder Fiete. Falls nicht, blieb er Lochfisch. Und zwar für immer.
„Ich war nicht alleine. Mein Freund Finn – er war mit mir dort. Er kann bezeugen, dass ich die Wahrheit gesprochen habe. Nichts als die Wahrheit“, rief Fiete den anderen in Erwachsenenwörtern zu.
Den Satz hatte er irgendwo mal aufgeschnappt und sich gemerkt. Finn schwamm – wie zuvor mit Fiete verabredet – an dessen Seite und nickte nur, ohne etwas zu sagen.
