Fiete lachte laut auf – zum ersten Mal seit sehr langer Zeit. Der da hieß also Fridolin... Was für ein besch… onderer Name. Immerhin konnte Fridolin über sich selbst lachen. Das mochte er. Bisher hatte er ihn kaum wahrgenommen. Fiete wusste, dass es ihn gab. Mehr nicht. – Wenn er ehrlich mit sich war, wusste er gar nichts über ihn. Er hatte ihn meistens einfach übersehen. Er und seine Kumpels waren nicht so wie der da. Doch der Gedanke währte nur einen Flossenschlag lang. Seine Kumpel waren nicht mehr seine Kumpel. Bis auf Finn schwammen jetzt alle sofort weg, wenn er kam. Er war jetzt einer von den anderen. Einer von denen, die man verspottete. Einer von der Sorte Freakfisch eben. In diesem Moment wurde Fiete das so richtig bewusst. Niemals mehr würde es so sein wie zuvor. Fridolin – gar nicht dumm – schien seine Gedanken zu erahnen.
„Ist ganz schön blöd so. Nicht?“
Fiete blieb stumm. Was meinte der mit „so“? Wer oder was war er jetzt? Er wusste es nicht. War er immer noch derselbe Fiete, oder war er jetzt anders, weil die anderen ihn so sahen? Er dachte darüber nach. Was er wusste, war, wer er noch vor kurzem gewesen war. Ein alles in allem ganz normaler, junger, recht beliebter, ziemlich schneller Riesenmaulfisch – der Süßalgen liebte, viele Freunde hatte und gerne Perlenball spielte. Und wer war er jetzt?
„Du wirst dich irgendwann dran gewöhnen. Am Anfang isses schlimm. Aber das Leben geht weiter“, meinte Fridolin, während er zugleich unentwegt hektisch mit all seinen Flossen ruderte, um nicht zurückzubleiben...Es sah ziemlich komisch aus. Freakig eben. Beinahe hätte Fiete losgeprustet, konnte sich aber gerade noch zurückhalten und seine Miene wahren. Aber als er über die Worte von Fridolin nachdachte, begann er sich zu wundern. Er schien ihn wirklich zu verstehen.
Irgendwie hatte er mit einem Mal das schöne Gefühl, mit Fridolin über alles reden zu können. Von Freakfisch zu Freakfisch sozusagen. Es fühlte sich gut an. Fridolin verstand, was er durchmachte.
„Wie meinst du das?“, fragte Fiete trotzdem, denn er war neugierig auf die Antwort.
„Na, an die Behinderung und an die Leute.“
Fiete verzog seine Bauchflosse. Irgendwie hatte er sich eine andere Antwort erhofft. Andererseits wusste er, dass Fridolin recht hatte. Das Loch blieb, egal, wie sehr er es sich auch wegwünschte. Alle Fische und wohl auch alle anderen Tiere des Meeres würden ihn anstarren. Für den Rest seines Lebens. Eigentlich konnte er von Fridolin viel lernen.
„Warum hast du eigentlich keine Floss…“, platzte es aus Fiete heraus, der den Satz nicht beendete, denn er schämte sich jetzt für seine Frage.
Er war unhöflich, das hatte Fridolin wirklich nicht verdient. Doch den schien es nicht zu stören, darüber zu reden. Er antwortete unbekümmert.
„Ganz einfach. So bin ich geboren.“
Fiete schwieg und hörte aufmerksam zu, während Fridolin weiter erzählte.
„Ich kenne es nicht anders. So bin ich geboren und so bin ich aufgewachsen. Meine Mama und mein Papa und auch meine Brüder und Schwestern haben mich deshalb nie anders oder schlechter behandelt. Sie alle haben mich immer unterstützt. Erst als ich aus der Höhle raus bin, habe ich gemerkt, dass die anderen mich blöd angucken. Zuerst. Dann kamen die vielen schlimmen Wörter. Ich bin dann lange in meiner Höhle geblieben, bin nicht mehr raus. Gar nicht mehr. Aber irgendwann wurde es mir dort ganz einfach zu langweilig. Meine Geschwister erzählten von der Schule, vom Ozean, von den vielen Spielen, den Abenteuern und von all den tollen und spannenden Sachen, die sie mit ihren Freunden unternahmen und entdeckten.Nur ich konnte, kannte und wusste nichts. Irgendwann habe ich dann
verstanden, dass meine Eltern und meine Geschwister recht hatten. Ich bin eben, wie ich bin, und es ist gut so. Ich kann zwar nicht alles machen, aber viel. Beim Perlenball bin ich Schiedsrichter, und manchmal bin ich auch ein Ballfisch, wenn auch ein etwas langsamer. Aber niemanden stört es, wenn ich etwas länger brauche, um den Perlenball zurückzubringen. Ich weiß, dass einige Spieler sogar ganz froh darüber sind, weil sie sich bei einem anstrengenden Spiel so ein paar Wellen lang länger ausruhen können.“
„Und die anderen?“, wollte Fiete wissen.
„Am Anfang gab es wieder das Glotzen, die blöden Blicke und die immer gleichen dummen Sprüche. Aber irgendwann haben sich die anderen an mich gewöhnt. Auch die bösen Jungs und Mädels lassen mich mittlerweile in Ruhe.“
Fiete zog es alle Flossen zusammen. So also sah seine Zukunft aus. Wobei – das war nicht die Zukunft, für ihn war es schon jetzt so. Seit der Haifischgeschichte war das sein Leben. Sein neues Leben. Immerhin schenkte ihm Fridolin etwas Hoffnung. Wenn er ihm glauben durfte, dann würde das alles irgendwann auch wieder ein Ende haben. Irgendwann? Hoffentlich so bald wie möglich. Fiete war ganz in Gedanken versunken und merkte erst jetzt, dass Fridolin aufgehört hatte, hektisch mit seinen Seitenflossen herumzuwuseln, und er verstand auch gleich, warum. Sie waren an der Schule angekommen. Fridolin und er besuchten nicht die gleiche Klasse – und er wusste nicht, was er ihm zum Abschied sagen sollte. Waren sie jetzt Freunde? Musste er ihn zu sich nach Hause einladen?
Sollte er ihn jetzt gleich einladen? Aber schließlich war es Fridolin, der die unangenehme Situation ganz cool auflöste.
„Man sieht sich“, sagte er, hob kurz seine kleine rechte Flosse und wuselte davon.