Das Licht, das eben noch so hell gewesen war, wich nach und nach der Dunkelheit – was nichts Gutes verhieß, wie Finn fand. Langsam wurde er nervös. So hatte er sich das Ganze nicht vorgestellt. Das hier war nicht Teil seines Plans gewesen. Aber er wusste nicht, wie er hier wegkommen konnte. Auch die vielen anderen Fische, die kreuz und quer um ihn herum nervös und aufgeregt drängelten, schoben und schubsten, wussten offenbar nicht, was sie tun sollten, um von hier zu verschwinden. Schließlich fasste Finn sich Mut. So konnte es schließlich nicht weitergehen, er wollte sich wehren! Also schwamm, schob und schubste er sich aus dem Chaos um ihn herum heraus, bis er nicht mehr weiterkam – so sehr er es auch versuchte. Finn war verblüfft. Er verstand es einfach nicht. Etwas weiter vorne konnte er bunte Korallen sehen, und ein Schwarm kleiner Makrelenfische schwamm nur ein paar Flossenlängen von ihm entfernt geradewegs und munter an ihm vorbei. Er konnte das alles sehen und fast schon berühren, aber er kam trotzdem einfach nicht weiter. Immer und immer wieder stieß er mit seinem kleinen Mäulchen gegen eigenartig harte Fäden, die so dicht beisammen lagen, dass er einfach nicht durch sie hindurchschwimmen konnte. So etwas hatte er ja überhaupt noch nie gesehen! Finn war empört! Er fand das unerhört! So eine Frechheit! Wer machte denn sowas? Und warum? Wieder und wieder versuchte er es, aber da war einfach nichts zu machen. Ihm war mulmig zumute. Er wollte zurück zu Mama und Papa. Und zwar jetzt, und hier, und sofort. Er bestand darauf. Doch die blöden Fäden waren dagegen. Umso erstaunter war er, als plötzlich neben ihm ein Fisch auftauchte, der etwas größer war als er und der seinem Bruder Frikke seitlich irgendwie ähnelte, irgendwie aber auch ganz anders war. Es war ein Fisch, den er hier in der Gegend noch nie gesehen hatte und der ein wenig anders aussah als all die Fische, die er kannte. Im selben Augenblick öffnete dieser Fisch neben ihm
aber schon sein Maul – und vor lauter Staunen blieb Finns kleines Mäulchen ebenfalls weit offen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Das Maul des Fisches neben ihm war plötzlich so viel größer als das von all den anderen Fischen, die er kannte. Es war so … riesig, staunte er. Und dieser Fisch hier hatte da auch noch viele große und messerscharfe Zähne, mit denen er die Fäden, die ihn und all die anderen Fische hier gefangen hielten, problemlos durchbeißen konnte.
Ehe Finn es sich versah, hatte der seltsame Fisch schon mit ein paar schnellen Bissen seines Riesenmauls ein großes Loch mitten durch die Fäden gerissen, durch das dann erst er selbst, dann Finn und schließlich all die anderen Fische problemlos wieder dorthin in den Ozean schwimmen konnten, wohin auch immer sie wollten. Finn war so erleichtert wie in seinem ganzen Leben noch nie. Dass er nicht wusste, wie er zu seiner Höhle zurückfinden konnte, war ihm jetzt erst einmal völlig egal. Und die blöden Bauchschmerzen hatte er schon längst vergessen. Während all die anderen Fische ohne zu grüßen am Fisch mit den scharfen Zähnen und dem großen Maul – das er jetzt aber wieder
geschlossen hatte – vorbeischwammen, wollte Finn sich bei ihm bedanken. Schließlich hatte er eine gute Erziehung genossen. Darauf wollte er nichts kommen lassen. Also schwamm er zu ihm hin.
„Herzlichen Dank, dass du mich da rausgeholt hast!“, sagte Finn seinem Rettungsfisch. „Das war wirklich sehr nett von dir.“
Dieser drehte sich kurz zu ihm um und blickte den kleinen, seltsamen Fisch, der ihn
angesprochen hatte, etwas überrascht an. „Na ja, Absicht war das keine. Eigentlich wollte ich nur selbst da raus. Aber wenn du meinst: Gern geschehen“, antwortete er.
Finn wollte nicht gleich wieder wegschwimmen und wedelte freundlich mit all seinen kleinen Flossen vor ihm herum, ohne sich aber von der Stelle zu bewegen. „Ich bin Finn. Und wie heißt du denn so?“, fragte er seinen Rettungsfisch neugierig.
Der Fisch, der sich ruhig umblickte, wohl um herauszufinden, wo er hier eigentlich war, antwortete zerstreut: „Ähm – angenehm – ähm – ich – ähm – heiße – ähm – ja – ähm – Fiete – ähm“, sagte er fast schon stotternd.
Finn fand Fiete total sympathisch. Er hatte ihn gerettet, und er machte keine große Sache daraus. Ein bescheidener Rettungsfisch. So jemanden lernte man hier im großen Ozean schließlich nicht jeden Tag kennen. „Hallo, Fiete“, sagte Finn fröhlich.
Fiete verzog keine Flosse. Er drehte sich noch einmal zu Finn um und blickte ihn eine schnelle Welle lang an. „Hallo“, sagte er – noch immer zerstreut, denn er war weiter ziemlich damit beschäftigt, herauszufinden, wo er hier eigentlich war.
„Es freut mich sehr, dich kennenzulernen“, sagte Finn.
„Hallo, Finn.“
„Wo wohnst du denn?“, wollte Finn wissen, denn er war halt ein ziemlich neugieriger kleiner Fisch.
Überrascht blickte Fiete den doch etwas lästigen kleinen Fisch, der immer noch vor ihm schwamm, an. „Kennst du dich denn hier in der Gegend etwa aus?“, fragte der Fisch mit dem großen Maul, das jetzt aber eigentlich gar nicht mehr zu bemerken war.
„Nein. Ich war noch nie hier.“
„Dachte ich mir schon. Bist noch ziemlich jung, was?“, antwortete Fiete.
„Ja“, meinte Finn etwas zerknirscht. Er überlegte. Er hatte wirklich überhaupt keine Ahnung, wo er war. Aber vielleicht konnte der nette Fiete ihm ja gleich noch einmal helfen. „Sag, könntest du mir bitte erklären, wo meine Höhle in der Nähe des roten runden Felsens ist und wie ich da hinkomme? Ich war in der Höhle und bin vom Wasser bis hierher gebracht worden“, sagte Finn und zeigte in eine Richtung, von der er gekommen war. So ungefähr jedenfalls.
Schließlich schwamm Fiete auf Finn zu. „Du findest nicht mehr nach Hause?“
„Nein“, antwortete Finn.
„Verstehe“, meinte Fiete. Er dachte kurz nach. „Du wohnst mit deiner Familie in der Höhle unweit des roten runden Felsens?“, fragte Fiete.
„Ja“, rief Finn.
„Na gut“, sagte Fiete. „Ich glaube, ich weiß jetzt so ungefähr, wo wir hier sind. Ich lebe nicht ganz so weit von deiner Höhle entfernt. Wenn du willst, können wir ein Stück zusammen schwimmen. Vom roten runden Felsen aus findest du alleine zurück?“, fragte er ihn. „Ich muss dort nämlich rechts abbiegen.“
Finn war kolossal erleichtert. Schon wieder. Fiete war seine Rettung. Schon wieder. Denn alleine hätte er nie und nimmer zurück nach Hause gefunden.